Vom Linkssein

Ich weiß es nicht: ist dieser Spruch allgemein bekannt? Also der hier: “wer mit 20 kein Kommunist war, hat kein Herz - wer es mit 30 immer noch ist, hat kein Hirn” ...

Auf mich trifft er zu. Ich war im zarteren Alter hübsch grün-kommunistisch, strammer Atomgegner, habe gegen Wackersdorf und die Republikaner demonstriert (mich dabei aber fein vom schwarzen Block, den es damals schon gab, ferngehalten). Ich hatte eine Che-Guevara-Fahne im Zimmer hängen. Und seine Biographie. In der - wie ich erst Jahre später verstand - ein paar Details fehlten, etwa dazu, dass Revolution halt irgendwie auch was mit Gewalt und Blut und Töten zu tun hat, und dass der Che das gut und gerne gemacht hat.

Und ich war in der Schülerzeitung. Da hatten wir einmal das Schwerpunktthema “Toleranz”. Wir haben das für uns damals in erster Linie so interpretiert, dass ein ordentlicher Linker natürlich Ausländer toleriert. Damals waren das in der Hauptsache Türken, vielleicht noch ein paar Italiener. Einen Perser hatten wir auch (aber der konnte fließend Deutsch, und sein Papa war Zahnarzt, also gilt der eigentlich nicht).

Praktizierte Toleranz war dann, dass man zu denen nach Hause geht und mit denen isst und spielt. Mit den meisten hat das sogar Spaß gemacht, bis auf einen, weil der vier Jahre älter war und gut ringen konnte, und der dann immer wollte, dass wir mit ihm üben. Aber wir waren ja tolerant, und als der dann mal gegen einen gerauft hat, der drei Klassen über uns war, haben wir auch alle zu ihm gehalten. Er hat dann verloren, weil der drei Klassen über uns noch besser ringen konnte, was aber halt auch unfair war, weil der in der Kreisliga war, und sein Papa noch dazu der Trainer. Ich meine, der hätte unseren Türken ja auch gewinnen lassen können, wo er doch stärker war und sowieso besser ringen konnte.

Hinterher hat unser Türke dann meinen Spezl verhauen, weil der ihn nicht fest genug angefeuert hat. Zuerst waren wir da auch sauer, aber hinterher haben wir das dann toleriert, weil er ja eigentlich gar nichts dafür konnte, sagte die Mutter von meinem Spezl, weil da, wo der herkommt, löst man Konflikte halt mit Verhauen, das müssten wir schon tolerieren. Sie wusste das halt auch deswegen so genau, weil ihre Schwester, also die Tante von meinem Spezl, auch mit einem Türken verheiratet war, und deswegen eigene Erfahrungen hatte.

Wir haben natürlich auch von den Rechten Toleranz lautstark eingefordert. Einmal sind wir zum Beispiel in eine Versammlung der Republikaner, mit Spruchbändern: “Schönhuber halt’s Maul!” und “Republikaner sind Rassisten”, und wir haben so laut geschrieen und gerufen, dass die gar nicht mehr miteinander reden konnten. Das war richtig toll, da hatten wir ein richtig schönes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Auf die Idee mit dem Thema “Toleranz” hatte uns übrigens eine Klassenkameradin gebracht, die war schriftstellerisch ziemlich begabt, und Feministin. Ich kann mich noch eine Kurzgeschichte von ihr erinnern, das war eine Art Fantasy-Science-Fiction, wo ein paar Astronauten auf einem Planeten landen, der nicht von einem Wesen, sondern - Achtung - einer Wesin (!) beherrscht wurde, die dann mit den Astronauten allerlei Schabernack anstellte. Wir fanden das super-kreativ. Dem Direx hat die Geschichte leider nicht gefallen, also hat er sie zensiert. Aus irgendeinem Grund hat mich der Direx für vernünftig genug gehalten, mir zu erklären warum: “Schaun’s Peter (das war damals so, “Sie” [&] Vornamen), damals die Zimmermann-Zeichnung, die war ja noch ein bisserl witzig und gut gezeichnet. Den Artikel gegen die Atombomben habe ich Euch ja auch durchgehen lassen. Aber einen solchernen Schmarrn druckts ihr nicht in meinem Namen!” Damals habe ich zum ersten Mal verstanden, dass nicht der Chefredakteur die Zeitung macht, sondern die Besitzer und der Herausgeber.

Überhaupt habe ich seit der Zeit viel verstanden. Leider auch, dass die Wahrheit nie einfach ist. “Leider” deswegen, weil das Leben als Linker viel einfacher war - denn ein klares Feindbild verschafft dem Tag nun mal Struktur.